Dienstag, 21. Mai 2013

Ohne mein Brot esse ich gar nichts



Tiere? Ja, Tiere trifft man im Kosovo oft an. Hühner gackern durch die Dörfer, Fische werden zuhauf geangelt, ein Adler ziert die beliebte albanische Flagge. Nur eine Gattung findet man lediglich auf der Roten Liste bedrohter Arten: den Vegetarier.
In jeder gepflegten Innenstadt reihen sich Qebaptoren an Mishtoren, Qebapa-Läden an Fleischereien. Hinter Glasscheiben hängt stückweise, batzenweise, körperweise blutrohes, sehniges Fleisch. Triefende Wurst knistert auf heißen Eisen. Glänzende Grillhähnchen drehen sich goldbraun.

Diese Fleischfresserei bedeutet allerdings nicht, dass zu einer anständigen Mahlzeit kein Gemüse gehört. Auf dem für zwölf Familienmitglieder reichlich gedeckten Esstisch tummeln sich in Extraschüsseln neben den Tellern eingelegte Peperoni, Oliven und natürlich Paprika.
Was wären die Menschen auf dem Balkan ohne Paprika? Was wäre ich ohne die geduldigen Mamas und Omas, die einmal im Jahr achtzig Kilogramm Paprika in mühevoller Handarbeit rösten, schälen, entkernen, fein hacken, mit Olivenöl, Salz, Pfeffer, Knoblauch, Zwiebeln und Peperoni mischen und solange garen, bis der Brei die Konsistenz von Apfelmus erreicht hat und Ajvar genannt werden kann. Ja, was wäre ich nur ohne Ajvar? Ein Kühlschrank ohne Ajvar treibt mich noch spät abends zum nächsten Tante-Emma-Laden, allein sein Geruch lässt mich Lobeshymnen frohlocken, die selbst Hollywood’schem Fließbandkitsch Konkurrenz machen. Ein Tag ohne Ajvar ist ein verlorener Tag. Ich bin klein, mein Magen rein, soll niemand drin wohnen als Ajvar allein. Gebt Suizidgefährdeten Ajvar und ihr werdet sie nie wieder los!


Wichtiger als Fleisch und Paprika ist eigentlich nur eines: Brot.
Als ich zum ersten Mal bei meiner albanischen Gastfamilie zu Abend aß und fälschlicherweise annahm, das halbe Weißbrot neben meinem Teller sei für alle bestimmt – bis ich je ein Stück Brot desselben Ausmaßes neben jedem einzelnen Teller entdeckte – ahnte ich nicht im Geringsten, wie tief die Liebe des Normalbaners zu seinem Brot ist. Das albanische Wort bukë für Brot hält gar stellvertretend für jede Mahlzeit her. Als beinhalte Brot Enzyme, ohne die der menschliche Körper nicht zum Kauen oder Schlucken oder Verdauen in der Lage wäre, wird in Restaurants wie in heimischen Esszimmern Brot in der Größe eines Kinderkopfes gereicht. Immer! Und das ist auch lecker so!
Weil es wieder die geduldigen Mamas und Omas sind, die in langwieriger Küchenarbeit Brotprachtstücke, mal mit Lauch, mal mit Joghurt, zaubern. So wie sie auch nicht müde werden, die traditionellen Teigkunstwerke Flija zu backen. Mehl, Wasser, Salz und Öl werden zu Teig, werden zur ersten Schicht auf dem Boden eines Autoreifen großen Bleches, werden von einem in hölzerner Glut erhitzten Deckel golden geröstet. Schicht um Schicht, Lage um Lage.  Dazwischen Joghurt – das letzte Element im bunten Schüsselmosaik auf dem großen Esstisch. Joghurt, der gewöhnlich getrunken, nicht gegessen wird. Und Käse, flockiger, weißer, sauer-herber Käse der meist im eigenen Stall nebenan hausenden Kuh.



Und mit dem Brot in der Hand und dem Tier auf dem Teller wird geschlungen und geschluckt, bis mit einem herzensguten „Iss mehr!“ auf den halbleeren Teller noch eine Portion Tier, Ajvar, Brot und Käse geknallt werden. Prost Mahlzeit! Ju bëfte mirë!

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